Hingehen, wo es wehtut

03. November 2015
von Philipp Scheffbuch
in
schlechtmensch3

Es ist geschafft.

Wir sind endlich da, wo wir hinwollten.

Mitten im Leben.

Nicht in einer hübsche Seitenstraße, nicht in einer Wohlfühlecke, da sind schon alle anderen…

Wir möchten keinen Rückzug, kein Milieu bedienen, keine Blümchen pflücken; wir hüpfen mit nachweislich fair hergestellten Klamotten ins Leben, ins echte Leben.

Uns kann niemand übersehen. An unserem Laden am Rande der Stuttgarter Innenstadt tuckern täglich 90.000 Autos vorbei.

Direkt vor uns ist der Eingang der unterirdischen U-Bahn-Station, an der alle 60 Sekunden eine Stadtbahn anhält. Hier kämpfen sich Hunderte Menschen morgens zum Beton-Eingang und schleppen sich abends erschöpft nach Hause.

Morgens und abends dreht sich an der Straßenkreuzung kein Rad mehr, es staut sich in alle Richtungen, wild wird gehupt, die Gesichter der Chauffeure sind versteinert, die Blicke leer, alle ringen angestrengt um Fassung.

Rund zweihundert Meter östlich  von unserer Ladentür liegt der berühmteste Feinstaub-Messpunkt Europas. Es wird dort so viel Dreck aufgezeichnet, dass sogar die sonst sehr ausgeruhten EU-Bürokraten in Brüssel die Schnauze voll haben und von der Stadt verlangen, etwas dagegen zu tun. Bisher jedoch ohne Erfolg.

Wer von unserer Ladentür in die andere Richtung, 300 Meter gen Westen, marschiert,  stolpert über die wohl größte Baustelle Europas: Stuttgart 21. Ein Projekt, das die Stadt spaltet.

Stau, Dreck, Stress, Monsterbaustelle – wir sind hier richtig.

 

 

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