Vergessenes Grab: Daimler

18. Februar 2017
von Philipp Scheffbuch
in
daimlergrab

Es ist allgemein bekannt: in Stuttgart gibt es einen nicht unbedeutenden Autokonzern, er setzt 153 Milliarden Euro im Jahr um und erwirtschaftet einen Gewinn von 12,5 Milliarden Euro, er verschafft 282.000 Mitarbeitern einen Job und bezahlt seinem Vorstand jährlich 29 Millionen Euro. Der Konzern nennt sich nach dem Familienname des Mannes, der das erste vierrädrige Kraftfahrzeug mit Verbrennungsmotor erfunden hat: Gottlieb Daimler. Gottlieb Daimler lebt nicht mehr, sondern liegt seit 117 Jahren auf dem Uff-Kirchhof in Stuttgart-Bad-Cannstatt.

Zwischen der edlen repräsentativen Daimler-Konzernzentrale in Untertürkheim und dem Uff-Kirchhof in Bad Cannstatt liegen genau 3,2 Kilometer Straße. Mit einem herkömmlichen Pkw benötigt man für die Strecke maximal sieben Minuten, mit einem Mercedes wahrscheinlich nur sechs Minuten. Der Uff-Kirchhof liegt zwischen der Lutherkirche und der Liebfrauenkirche, den vielleicht schönsten beiden Kirchen im gesamten Stuttgarter Stadtgebiet. Auf diesem eindrücklichen Friedhof also befindet sich die letzte Ruhestätte des Mannes, dem sowohl der Vorstand als auch alle Angestellten der heutigen Daimler AG ihren relativen Wohlstand zu verdanken haben. Besucher erwarten – wie an vielen anderen vergleichbaren Orten auch – ein stolzes würdevolles Grab, ein gepflegtes Grab, ein Grab, das Respekt und auch Dankbarkeit zum Ausdruck bringt. Das alles ist hier aber erstaunlicherweise nicht zu sehen.

Es liegt altes Laub zwischen den Bäumchen, davor ein mehrere Wochen altes Gesteck. Ansonsten gibt es keinen Kranz, keine Gedenktafel, nichts. Es ist mehr als zu spüren: der Gründer ist vergessen, hier scheint das börsennotierte Wirtschaftsunternehmen, das sonst auf kostspielige Hochglanz-Werbung setzt, zum knauserigen Erben zu werden. Dabei kostete eine tagtägliche Grabpflege wohl kein Vermögen. Es geht viel eher um die Gewichtung. So steht sehr nahe zu vermuten, dass der Untertürkheimer Autokonzern auf dem Uff-Kirchhof für ein gesamtes Kalenderjahr Grabpflege weit weniger als einen Tagessatz der Vergütung des heutigen Vorstandsvorsitzenden aufwendet. So oder so: Das Grab macht nachdenklich.

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